Die Entstehung von Sozialer Arbeit als globalem Beruf in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war von einer transnationalen Verbreitung von Ideen begleitet. Ein interessanter Fall ist das, was zwischen Deutschland und der jüdischen Gemeinschaft im Mandatsgebiet Palästina in den 1930er und 1940er Jahren geschah.
Die Einwanderung einer Anzahl jüdischer Sozialarbeiter_innen von Deutschland nach Palästina, damals noch unter britischem Mandat, hatte einen bemerkenswerten Einfluss auf die Entwicklung der Sozialen Arbeit in diesem Land. Die an den Schulen für Sozialarbeit in der Weimarer Republik ausgebildeten Frauen, die zum Teil Führungsaufgaben im Bereich der sozialen Fürsorge und des sozialen Bildungswesens innehatten (z. B. Siddy Wronsky) brachten prägende Ideen mit nach Palästina. Die wenigen Forschungsprojekte, die sich mit dem Einfluss deutsch-jüdischer Sozialarbeiter_innen auf die Soziale Arbeit in Palästina befassen, konzentrieren sich auf die Biographien jüdischer Migrant_innen, die nach 1933 gezwungen wurden, Deutschland zu verlassen. Diese Ansätze haben viel zu unserem Wissen beigetragen, aber sie reflektieren den Prozess der Übersetzung von Wissen und Ideen in einen neuen sozialen Kontext nicht ausreichend. Im damaligen Palästina finden wir ein sehr unterschiedliches Verständnis von sozialer Wohlfahrt zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. Insofern ist die Entwicklung der Sozialarbeit auch als Teil eines sehr umstrittenen Prozesses im Aufbau der Nation in der vorstaatlichen Ära zu analysieren. Außerdem kann diese Fallstudie zum entstehenden Diskurs über den transnationalen Ideenaustausch in der Sozialen Arbeit beitragen.Die Untersuchung gliedert sich in vier Bereiche: 1) die Entstehung und die Koalitionen einer Gruppe von Fachleuten und Expert_innen; 2) der Diskurs innerhalb des Berufs, wie er sich in den Organen und in zentralen Publikationen widerspiegelt; 3) die Strukturierung der sozialen Dienstleistungseinrichtungen in diesem Zeitraum, und wie sie übersetzt und dabei transformiert wurden; und 4) professionelle Praktiken im entstehenden Feld der sozialen Arbeit. Die Studie stützt sich dabei auf Primärquellen aus offiziellen Archiven in Berlin – hauptsächlich dem Alice Salomon Archiv –, Jerusalem und New York, privaten Archiven, Publikationen und Sekundärquellen.
Biographische Datenbank nach Palästina migrierter jüdischer Sozialarbeiter_innen
Publikationen
- Avnir, Yehudit & Gal, John (2019). Settlement Houses and the Origins of Social Work in Mandatory Palestine.
- Gal, John & Köngeter, Stefan (2016). Exploring the Transnational Translation of Ideas: German Social Work Education in Palestine in the 1930s and 1940s.
- Halpern, Ayana & Köngeter, Stefan (2017): ‘Jewish Social Work between Germany and Mandatory Palestine: The Story of Dr. Mirjam Hoffert’
- Halpern, Ayana & Lau, Dayana (2023): Jewish Social Work Biographies between Germany and Mandatory Palestine. | Women Professionals as Transnational Agents from the 1920s to the 1940s. In: Soziale Arbeit 1/2023, S. 2-12
- Halpern, Ayana & Lau, Dayana (2019): Social Work between Germany and Mandatory Palestine: Professional Reconstruction in the Biographies of Immigrant Jewish Women Practitioners.
- Halpern, Ayana (2017): ‘Jüdisch-deutsche Sozialarbeiterinnen in Palästina: Erinnerungen an vergessene Frauen und ihr Erbe’
- Halpern, Ayana (2017): ‘The Unfamiliar History of Social Work in Israel: Siddy Wronsky and the Social Therapy Concept’
- Halpern, Ayana (2019). ‘Between Universal and National Social Therapy: Professional Interventions of Jewish Social Workers in Mandatory Palestine’
- Halpern, Ayana (2019): ‘Jewish Social Workers in Mandatory Palestine: Between Submission and Subversion under Male Leadership
- Halpern,Ayana (2019): ‘Social Work Pioneers in Mandatory Palestine: Forgotten Women and Professional Traditions’
- Mazursky, Nofar/Lau, Dayana (2020): The Emergence of Social Work Research Between Professionalisation and Nation-Building: A Transnational Case Study.
- Schmitz, Anne-Kathrin/Köngeter, Stefan/Lau, Dayana: Die Übersetzung der Anderen – Der Diskurs über ‚orientalische Juden‘ in der jüdischen Sozialarbeit zwischen Deutschland und Palästina/Israel
Projektdaten
- Projektlaufzeit: 01.01.2017 bis 31.12.2019
- Projektleitung: Prof. Dr. Sabine Toppe (ASH Berlin), Prof. Dr. John Gal (Hebrew University of Jerusalem), Prof. Dr. Stefan Köngeter (FH St. Gallen)
- Projektmitarbeiter_innen: Anne-Kathrin Schmitz, Ayana Halpern, Berthold Stadler-Ebenau, Carina Huestegge, Dayana Lau, Nofar Mazursky, Dr. Yehudit Avnir
- Kooperationspartner_innen: Hebrew University of Jerusalem, Universität Trier
- Mittelgeber_in: German-Israeli Foundation of Scientific Research and Development (G.I.F.)